Fragen an Kerstin Andreae (GRÜNE)

IG Metall Bundestagswahl 2017

15.09.2017 Wahlprüfsteine des IG Metall OJA Freiburg zur Bundestagswahl 2017

Der OJA (Orts Jugend Ausschuss) der IG Metall Freiburg hat sich im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 Gedanken gemacht, wie man mit einer Aktion die Bundestagswahlen begleiten kann. Wir haben beschlossen, den Direktkandidierenden aus dem Wahlkreis Freiburg unsere Fragen zu stellen. Die Insgesamt 6 Fragen haben wir an die Kandidatinnen und Kandidaten von CDU, SPD, GRÜNE, DIE LINKE, FDP und AfD gesendet. Rückmeldung erhielten wir von Matern von Marschall (CDU), Julien Bender (SPD), Kerstin Andreae (GRÜNE) und Tobias Pflüger (DIE LINKE).

Hier sind die Antworten von Kerstin Andreae (GRÜNE):

Frage 1: Die aktuelle Bundesregierung hat das BBiG begutachtet, jedoch nicht novelliert. Wo sehen Sie und Ihre Partei im BBiG Reformbedarf und würden Sie eine Novellierung in der kommenden Legislaturperiode vorantreiben?

Antwort: Wir sehen hier deutlichen Reformbedarf. Zum einen durch die Digitalisierung in der Arbeits- und Lernwelt, zum anderen durch die immer heterogener werdende Gruppe der Auszubildenden. Dadurch stellen sich auch andere Anforderungen im Bereich der Ausbilderqualifikation und -eignung, §§ 27 bis 30 BBiG. Allerdings halten wir es zuerst für notwendig, eine echte wissenschaftliche Evaluierung des BBiG einzuholen. Das BMBF hat dies in der letzten Legislatur versäumt. Auf der Basis dieser Evaluierung wollen wir uns dann mit den Sozialpartnern zusammensetzen und die Reform des BBiG angehen.

Frage 2: Wie stehen Sie zu einer Veränderung des Rentensystems und was wären dabei Ihre Ansätze?

Antwort: Unser Ziel ist, die Rente wieder sicher und verlässlich, nachhaltig und generationengerecht zu machen. Dazu wollen wir in erster Linie die gesetzliche Rente stärken. Wir wollen das Rentenniveau auf heutigem Niveau stabilisieren. Dazu schlagen wir mehrere Maßnahmen vor: Versicherungsfremde Leistungen wie die sog. Mütterrente müssen künftig aus Steuern finanziert werden, nicht mehr einseitig von den Beitragszahlern. Darüber wollen wir die Erwerbsbeteiligung insbesondere von Frauen erhöhen sowie weitere Erwerbstätigengruppen wie Langzeitarbeitslose oder nicht anderweitig abgesicherte Selbständige einbeziehen. Das verbessert die Absicherung und hätte eine positive Wirkung auf die Beitragssätze. Die Höhe der Beitragssätze ist für uns nicht sakrosankt, sollte unseres Erachtens aber nur dann ein Thema werden, wenn die anderen Mittel zur Erreichung des Niveauziels ausgeschöpft sind. Denn klar ist auch, dass Rentenniveau und Beitragssatz in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, sodass auch die junge Generation weiter in die gesetzliche Rente vertrauen kann. Wenn uns - im Verbund mit anderen Parteien - die Stabilisierung des Rentenniveaus gelungen sein wird, erwarten wir eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, ob das Rentenniveau weiter ansteigen soll oder nicht.
Wir wollen die Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung ausbauen. In einem ersten Schritt wollen wir eine "Garantierente" einführen für alle Menschen, die den größten Teil ihres Lebens rentenversichert waren, gearbeitet, Kinder erzogen oder andere Menschen gepflegt haben. Die Garantierente soll steuerfinanziert sein und so hoch liegen, dass in der Regel keine Grundsicherung mehr benötigt wird (derzeit rund 930 Euro pro Monat). Es soll keine Bedürftigkeitsprüfung geben, betriebliche und private Altersvorsorge sollen nicht angerechnet werden.
Neben der gesetzlichen Rente wollen wir auch die private und betriebliche Altersvorsorge stärken. Die Förderung der privaten Vorsorge wollen wir auf GeringverdienerInnen konzentrieren. Wir wollen zudem einen BürgerInnenfonds in öffentlicher Verwaltung einführen und diesen sowohl für die betriebliche wie auch die private Vorsorge öffnen. Bei hinreichender Größe kann die laufende Verwaltungsgebühr sehr gering sein. Die Sparleistung der Menschen kann so fast vollständig in die Vorsorge gehen.

Grundsätzlich halten wir an der Rente mit 67 fest. Wir wollen aber, dass jeder selbst entscheiden kann, wann er in Rente geht. Wer in besonders belasteten Berufen tätig ist, soll die Möglichkeit erhalten, mit 60 Jahren eine Teilrente ohne Abschläge zu erhalten. Für Menschen, die länger arbeiten wollen und können, soll sich das lohnen. Wer allein aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Rente gehen muss und eine Erwerbsminderungsrente bezieht, darf nicht mehr durch Abschläge bestraft werden.

Frage 3: Viele Jugendliche finden keinen Ausbildungsplatz, gleichzeitig gibt es zahlreiche unbesetzte Ausbildungsstellen. Wo sehen Sie Handlungsmöglichkeiten, um Junge Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen?

Antwort: Wir fordern eine Ausbildungsgarantie, die an die Stelle des unübersichtlichen Durcheinanders von Fördermaßnahmen tritt. Alle Jugendlichen sollen direkt nach der Schule eine anerkannte Berufsausbildung beginnen können, anstatt ziellos von Maßnahme zu Maßnahme geschoben zu werden. Die Ausbildung junger Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der insbesondere die Wirtschaft ein übergeordnetes Interesse haben muss. Um die Ausbildungsbeteiligung dauerhaft zu erhöhen und damit Betrieben wie Jugendlichen gute Perspektiven zu sichern, befürworten wir branchen- und regionsspezifische Umlagen zur solidarischen Finanzierung der Berufsausbildung. Wir wollen allen Auszubildenden ein eigenständiges Leben ermöglichen. Deshalb fordern wir eine Stärkung der Tarifautonomie und ergänzend zu den einzelnen Tarifverträgen eine Mindestausbildungsvergütung. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass die Berufsausbildungsbeihilfe einfacher in Anspruch genommen werden kann und sich die Höhe realistisch an den Lebenshaltungskosten orientiert. Um Mobilität während der Ausbildung zu garantieren, setzen wir uns für ein kostengünstiges Auszubildendenticket ein. Dadurch entstehen endlich bessere Bedingungen für den Fachkräftenachwuchs und gesellschaftlich zentrale Branchen wie Handwerks-, Sozial- und Pflegeberufe werden aufgewertet.

Frage 4: Durch Entwicklungen wie "Industrie 4.0" und die Digitalisierung steht die Arbeitswelt vor großen Veränderungen. Wo sehen Sie im Zuge der "digitalen Revolution" in der Arbeitswelt gesetzliche Handlungsfelder?

Antwort: Die Digitalisierung kann unsere Arbeitswelt positiv verändern. Nicht mehr Arbeitsort und -zeit sind entscheidend, sondern Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Das schafft neue Freiräume und birgt Chancen für eine humanere, familienfreundlichere und ökologischere Arbeitswelt. Die Digitalisierung stellt uns aber zweifellos auch vor neue Herausforderungen. Sie kann zu dauerhafter Verfügbarkeit und Mehrarbeit führen. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen abhängiger und selbständiger Tätigkeit sowie zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung können verschwimmen. Unsere Politik muss auf diese neuen Herausforderungen Antworten finden. Um einen fairen Wettbewerb und einen bestmöglichen Interessensausgleich zwischen Beschäftigten und Unternehmen zu sichern, müssen geltende Sozial- und Arbeitsstandards für die digitale Arbeitswelt weiterentwickelt und das Recht auf informelle Selbstbestimmung mit einem effektiven Beschäftigtendatenschutz ausgebaut werden. Damit Arbeitszeit und -ort stärker an den Bedürfnissen der Beschäftigten ausgerichtet werden, fordern wir ein Recht auf Homeoffice und mehr Mitsprache für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über Umfang und zeitliche Lage ihrer Arbeitszeit. Wir schlagen einen Vollzeitkorridor im Bereich von 30 bis 40 Wochenstunden vor. Innerhalb dieses Korridors sollen Beschäftigte ihren Arbeitsumfang frei bestimmen können, sofern dem keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Arbeitsschutz und betriebliche Mitbestimmung müssen so weiterentwickelt werden, dass sie möglichen gesundheitlichen Risiken der Digitalisierung wie z.B. der Entgrenzung von Arbeit wirkungsvoll begegnen können. Mit einem eigenständigen Gesetz wollen wir den Beschäftigtendatenschutz und die informationelle Selbstbestimmung stärken. Zudem wollen wir darauf hinwirken, dass in Schule und Berufsausbildung alle optimal für die digitale Arbeitswelt vorbereitet werden können und die berufliche Weiterbildung zum zweiten zentralen Handlungsfeld von Jobcentern und Arbeitsagenturen ausgebaut wird. Damit können alle von Beratung und Unterstützung profitieren - egal ob sie beschäftigt, selbständig oder arbeitslos sind. Für Selbständige wollen wir soziale Leitplanken einziehen, um zu gewährleisten, dass Werk- und Dienstverträge nicht zum Lohndumping missbraucht werden können und Selbständige besser geschützt sind.

Frage 5: Wie stellen Sie sich die Zukunft der Europäischen Union vor?

Antwort: Wir sind überzeugte EuropäerInnen. Wir wissen, dass die Herausforderungen unserer Zeit viel zu groß sind, um sie alleine in Deutschland lösen zu können. Miteinander statt Gegeneinander, Offenheit statt Abschottung - das ist der Kern grüner Politik. Nur gemeinsam können wir erfolgreich sein im Kampf gegen den Klimawandel, gegen Umweltverschmutzung und Ressourcenknappheit, gegen Sozialdumping und Steuerbetrug, gegen Krieg und Terrorismus, gegen organisierte Kriminalität und internationalen Terrorismus. Wir gewinnen gemeinsam oder verlieren gemeinsam. "Mehr Europa" ist deshalb im ureigenen deutschen Interesse. Aber nur ein starkes Europa, das sich nicht scheut, die nötigen Reformen anzupacken, ist ein zukunftsfähiges Europa. Deshalb streiten wir Grüne für eine bessere Europäische Union, die ökologischer, demokratischer, sozialer und den Werten der Solidarität, Humanität und Weltoffenheit verpflichtet ist.

Frage 6: Welche Veränderungsbedarfe sehen Sie in der EU?

Antwort: Die allergrößte Herausforderung ist momentan die EU im Zuge des Brexit mit vereinten Kräften zusammenzuhalten und zu stärken. Politik ist dann erfolgreich, wenn sie konkrete Ergebnisse vorweisen kann. Das gilt auch für Europa.
Europas Demokratie lebt vom Mitmachen, Mitentscheiden, Sich-Einbringen und vom Einmischen. Aber wie jede Demokratie hat auch die EU Schwächen, die wir abbauen wollen. Wir wollen Europa gemeinsam mit seinen BürgerInnen weiterentwickeln, transparenter, demokratischer und erfahrbarer machen. Zu oft wird europäische Demokratie einseitig über das Handeln nationaler Regierungen legitimiert anstatt über das EU-Parlament. Es soll zentraler Ort aller europäischen Entscheidungen werden, mit dem Recht, eigene Gesetzesvorschläge einzubringen. Auch nationale Parlamente wollen wir durch vertraglich gesicherte Informationsrechte stärken, damit das Handeln der eigenen Regierung in Brüssel stärker beeinflusst werden kann. Wir wollen Beteiligungsinstrumente wie die Europäischen Bürgerinitiativen und europäische Bürgerforen ausbauen. Wir fordern mehr Transparenz durch ein verpflichtendes Lobbyregister. Ein "legislativer Fußabdruck" soll sichtbar machen, wer mit welchem Budget in wessen Auftrag und zu welchem Thema Einfluss auf die Politik nimmt.
Europa steht immer noch vor riesigen sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Wir fordern einen europäischen Paradigmenwechsel weg von der einseitigen Sparpolitik der Großen Koalition hin zu sozial gerechten und ökologisch sinnvollen Zukunftsinvestitionen. Die EU möchten wir zur Vorreiterin für umwelt- und klimafreundliches Wirtschaften machen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, im EU-Haushalt einen Zukunftsfonds einzurichten, der mittels öffentlicher Investitionen die öko-soziale Modernisierung der europäischen Wirtschaft vorantreibt. Alle EU-Staaten, die entschlossen gegen aggressive Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vorgehen, sollen sich am Zukunftsfonds beteiligen können. Wir wollen die soziale Spaltung Europas abbauen durch eine soziale Fortschrittsklausel im Lissabon-Vertrag, durch soziale Mindeststandards bspw. einer Mindesteinkommens-RL und perspektivisch durch eine Europäische Arbeitslosenversicherung. Wir streiten für das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Arbeitsplatz" für alle ArbeiternehmerInnen auch im Zuge der Überarbeitung der Entsende-RL. Uns ist wichtig, die grenzüberschreitende Freizügigkeit von ArbeitnehmerInnen sozial besser abzusichern, damit sie nicht durch ein Raster national fragmentierter Sozialsysteme fallen.

  • Die Herausforderung, die Europa dringend anpacken muss, ist für uns die Flüchtlingspolitik. Die EU sollte Flüchtlinge endlich solidarischer auf ihre Mitgliedsstaaten verteilen. Wer keine Flüchtlinge aufnehmen möchte, sollte auf anderem Wege Verantwortung übernehmen, etwa durch eine verstärkte Beteiligung am Resettlement-Programm des UNHCR. Wir möchten faire Asylverfahren und hohe Asylstandards überall in der EU.
  • Schließlich darf die EU nicht wegsehen, wenn einzelne Regierungen wie in Polen oder Ungarn die Demokratie in ihrem Land schwächen. Sie sollte die Rechtsstaatlichkeit aller Mitgliedsländer regelmäßig, unabhängig und verbindlich überprüfen. Dazu wollen wir den sogenannten "Rechtsstaatsmechanismus"

Letzte Änderung: 15.09.2017