Im Streitgespräch

Hermann

14.02.2012 Hermann Spieß, Geschäftsführer der IG Metall Freiburg und Lörrach und Stephan Wilcken vom Arbeitgeberverband Südwestmetall, Bezirk Freiburg im Streitgespräch bei der Badischen Zeitung

Quelle: Badische Zeitung, online, 08.02.2012 von Jörg Buteweg und Ronny Gert Bürckholdt,Fotos: Wolfgang Grabherr

Streitgespräch
"Wir müssen Tarifverträge sexy machen"
BZ-INTERVIEW mit Stephan Wilcken vom Industrieverband Südwestmetall und Hermann Spieß von der Industriegewerkschaft Metall über eine spannende Tarifrunde.

Harmonisch ging es in der schweren Krise vor drei Jahren zu: Arbeitgeber und Gewerkschafter der Metall- und Elektrobranche retteten gemeinsam Jobs. Jetzt gibt es wieder etwas zu verteilen und prompt ist es vorbei mit der Eintracht. Es streiten Hermann Spieß, der Chef der Industriegewerkschaft Metall in Südbaden und Stephan Wilcken vom Arbeitgeberverband Südwestmetall in der Region. Die Fragen stellten Jörg Buteweg und Ronny Gert Bürckholdt.

BZ: Herr Spieß, Ihre Gewerkschaft fordert einen Lohnnachschlag für 2011. Wie kommen Sie denn auf diese Idee?

Spieß: Die letzte Tarifrunde war geprägt von der Wirtschaftskrise. Es ging vor allem darum, Arbeitsplätze zu sichern. Die Beschäftigten haben an allen Ecken und Enden verzichtet und so einen Aufschwung ermöglicht, der so stark ausfiel, wie sich das niemand hätte vorstellen können. Heute sind die Bilanzen der Betriebe golden, manche sind mit Diamanten besetzt. Daran sollen die Beschäftigten Anteil haben.

Wilcken: Richtig ist, dass während der Rezession die Beschäftigten, die Arbeitgeber und der Staat gemeinsam viele Arbeitsplätze gesichert haben. Landauf, landab wurde kurzgearbeitet, viele Mitarbeiter verzichteten auf Weihnachts- und Urlaubsgeld. In unserer Branche zahlten die Arbeitgeber einen Zuschlag zum Kurzarbeitergeld. Das Eigenkapital vieler Betriebe ist geschrumpft. Zwar gibt es Firmen, die 2011 das Niveau von vor der Krise erreicht haben, aber nicht alle. Jetzt brauchen die Betriebe viel Geld für Investitionen, die sie während der Krise zurückgestellt haben.

Spieß: Die Betriebe der deutschen Metall- und Elektroindustrie haben 56 Milliarden Euro Gewinn gemacht allein im Jahr 2011.

Wilcken: Allenfalls vor Steuern.

Spieß: Dennoch war es eines der besten Jahre der Nachkriegsgeschichte und wegen der anstehenden Tarifrunde wird kein Arbeitgeber verarmen.

BZ: Herr Wilcken, die Idee der IG Metall müsste Ihnen gefallen. Erst werden Geschäfte gemacht, dann wird abgerechnet.

Wilcken: Tariferhöhungen sind stets in die Zukunft gerichtet. Steigen die Entgelte, muss dies anschließend Monat für Monat erwirtschaftet werden.

BZ: Das gilt nicht für Einmalzahlungen.

Spieß: Moment. Die Einkommen der Arbeitnehmer müssen auf Dauer an die steigende Produktivität in den Betrieben und an die Inflation angepasst werden. Einmalzahlungen können höchstens Teil einer Paketlösung sein. Als alleiniges Mittel der Tarifpolitik würden sie die Beschäftigten arm machen. Man sollte auch nicht vergessen, dass Lohnerhöhungen in der deutschen Metall- und Elektroindustrie die Kaufkraft im Inland und damit die Entwicklung der Volkswirtschaft maßgeblich beeinflussen.

BZ: Weil in der Branche bereits vergleichsweise viel verdient wird und ein Lohnplus daher automatisch viel Geld entspricht?

Spieß: Vor allem, weil es um 3,6 Millionen Beschäftigte geht. Wenn wir uns die Krise in der Eurozone anschauen, sollten wir fragen, wie wir die Nachfrage im Inland stärken können. Es sei der Hinweis erlaubt, dass wir deutschen Gewerkschafter uns Vorwürfe europäischer Kollegen anhören müssen, dass unsere Lohnpolitik mit dafür sorgt, dass die Beschäftigten in anderen europäischen Ländern ihre Arbeit verlieren.

Wilcken: Wir sollten auch sehen, wie es konjunkturell weitergeht. Ich bin weit davon entfernt, von einer Rezession in Deutschland zu reden. Aber klar ist, dass es nicht so weiterläuft wie 2011. Viele Auftragsbücher leeren sich. Aus dem Ausland kommen weniger Bestellungen. Unsere Betriebe in Südbaden liefern in der Regel nicht direkt ins Ausland, sind aber Zulieferer vor allem für den Maschinen- und Fahrzeugbau, der seine Güter zu großen Teilen exportiert.

BZ: Werden die Arbeitgeber ein beziffertes Angebot vorlegen?

Wilcken: Diese Debatte kommt zu früh. Ich bin mir aber sicher, dass es eine Entgelterhöhung geben wird. Ich bin mir auch sicher, dass die nicht bei 6,5 Prozent liegen wird, wie sie die Gewerkschaft fordert.

BZ: Herr Spieß, die deutschen Gewerkschafter werden von liberalen Ökonomen dafür gelobt, dass sie sich mit ihren Lohnforderungen zurückgehalten haben. Das habe die Wirtschaft wettbewerbsfähig gemacht und Jobs gesichert. Freuen oder ärgern Sie sich über das Lob?

Spieß: Wir wissen, dass es in Krisenzeiten geboten ist, auf den Erhalt der Arbeits- plätze zu achten. Betrachtet man die Steigerung der Inflation und der Produktivität, haben die Beschäftigten allein im Krisenjahr 2009 fast vier Prozent Minus gemacht. Wir wissen auch, dass derzeit reale Lohnzuwächse ökonomisch geboten sind. Es ist genug Geld da, um auch ein Stück weit umzuverteilen und um damit die Kaufkraft der Deutschen zu erhöhen.

BZ: Seit einiger Zeit kommen Tarifrunden für die Gewerkschaft immer dann, wenn es mit der Konjunktur abwärtsgeht.

Spieß: Aus Sicht der Arbeitgeber gibt es nie einen richtigen Zeitpunkt. Es heißt wahlweise, wir zerstören den Aufschwung oder verstärken den Abschwung.

BZ: Welchen Anteil hat die Tarifautonomie an den Erfolgen Ihrer Branche?

Wilcken: Ich bin ein großer Freund von Tarifverträgen. Sie erleichtern eine gute Zusammenarbeit von Betrieben und Beschäftigten. Das sehen mehr und mehr Betriebe so. Südwestmetall hat Zuwachs, 2011 sind drei südbadische Betriebe hinzugekommen. Das liegt auch an der Diskussion um den Fachkräftemangel. Die Geschäftsführer außerhalb des Flächentarifs sehen, dass gute Mitarbeiter in Firmen wechseln, die der Tarifbindung unterliegen. Dabei geht es weniger um die Arbeitszeit, die 35-Stunden-Woche, als darum, was im Geldbeutel bleibt. Bei aller Wertschätzung für die Tarifbindung im Arbeitgeberlager - wir müssen die Tarifverträge sexy machen, damit sich mehr Betriebe überzeugen lassen, sie anzuwenden. Das hilft den Firmen und den Beschäftigten.

Spieß: Wir Gewerkschaften werden uns aber nicht ausziehen, damit die Tarifverträge sexy werden. Egal, wie sexy ein Tarifvertrag sein mag - der Arbeitgeber wendet ihn nicht freiwillig an. Das tut er nur, wenn sich die Beschäftigten dafür starkmachen. Wenn ein Betrieb nach Tarif entlohnt, ist dies eine Art Soziallabel für ihn, was ihm hilft, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Das haben viele Chefs noch nicht verstanden.

BZ: Herr Spieß, in der Tarifrunde geht es Ihnen nicht nur ums Geld, sondern um qualitative Verbesserungen für junge Beschäftigte und Leiharbeiter. Was fordern Sie?

Spieß: Wir werden keine Ruhe geben, bis die Übernahme der Auszubildenden in unbefristete Arbeitsverhältnisse geregelt ist. Wir haben über Generationen hinweg das Versprechen eingelöst, dass es der jungen Generation bessergeht als der ihrer Eltern. Das gilt nicht mehr. Heute übernimmt nur jedes vierte Unternehmen in der Branche die ausgelernten Auszubildenden unbefristet. Nach dreieinhalb Jahren Ausbildung müssen die Leute darum bitten, dass sie unbefristet eingestellt werden. Wir fordern nicht, dass jeder Auszubildende übernommen werden muss, aber wir verlangen, dass die unbefristete Übernahme die Regel wird. Befristungen sollen nur ausnahmsweise möglich sein, etwa, wenn noch Zweifel bestehen, ob der junge Mitarbeiter geeignet ist für die Arbeit.

Wilcken: Es scheint mir nötig, daran zu erinnern, warum sich die Betriebe verpflichtet haben, die Ausgelernten befristet zu übernehmen. Es ging darum, ihnen in jedem Fall zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verhelfen. Jetzt zu fordern, alle Ausgelernten müssen unbefristet übernommen werden, geht viel zu weit. Wir sollten den Betrieben nicht die unternehmerische Freiheit nehmen, zu entscheiden, wen sie unbefristet einstellen und wen nicht. Eine Umfrage unter Südbadens Betrieben der Metall- und Elektroindustrie zeigt, dass 80 Prozent der jungen Mitarbeiter, die zunächst befristet eingestellt werden, später in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden.

Spieß: Warum dann nicht gleich?

Wilcken: Wenn wir das erzwingen, hätte das schlimme Folgen. Mein Verband, Südwestmetall, hat in Freiburg eine Auszubildende. Aus heutiger Sicht kann ich der Dame nach der Lehre keine Tätigkeit bei uns anbieten, weil keine Stelle frei ist. Es gibt andere Betriebe, die sich eine Ausbildung nicht leisten können. Die freuen sich, wenn sie eine gut ausgebildete Mitarbeiterin von uns bekommen. Wenn man unseren Verband zwingt, die Dame nach der Ausbildung unbefristet anzustellen, können wir nicht mehr ausbilden. Würde sich die IG Metall durchsetzen, würden drei Viertel unserer Betriebe weniger ausbilden. Damit wäre niemandem geholfen.

Spieß: Wir sind bereit, eine Überforderungsklausel zu vereinbaren, damit Betriebe weiter ausbilden, die wissen, dass sie die jungen Leute nicht übernehmen können. Was die anderen Punkte angeht: Wollen Sie mir weismachen, dass Sie junge Leute dreieinhalb Jahre lang ausbilden, um dann immer noch nicht zu wissen, ob Sie ihnen so vertrauen, dass Sie sie unbefristet anstellen? Wenn das so wäre, sollten Sie schnell Ihre Ausbilder auswechseln.

Wilcken: Wenn die jungen Leute in die Ausbildung kommen, sind sie 16, 17 Jahre alt. In diesem Alter kann man nicht immer wissen, wie sich jemand entwickelt. Wir wollen, dass die Betriebe jungen Leuten aus schwierigen sozialen Verhältnissen eine Chance geben. Hoffentlich nutzen viele diese Chance, aber wer weiß das vorher?

Spieß: Sie wollen das Nadelöhr nach der Ausbildung nur behalten, um die jungen Leute zu disziplinieren. In Deutschland gibt es eine Million Leiharbeiter, 40 Prozent davon sind unter 30 Jahre. Viele von ihnen sind die Leute, die Sie nach der Ausbildung nicht unbefristet übernommen haben. Mit so unsicheren Perspektiven für die Jugend trocknen Sie die Branche aus.

Wilcken: Die meisten Auszubildenden werden übernommen. Darauf kommt es an. Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit aller Industriestaaten.

BZ: Zurück zur Leiharbeit. Was wollen Sie verändert sehen?

Spieß: Es geht uns nicht nur darum, das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" durchzusetzen. Wir wollen die Leiharbeit zurückdrängen. Wir fordern ein Mitspracherecht für die Betriebsräte über den Einsatz von Leiharbeitern in einem Betrieb.

Wilcken: Wir sind für die Leiharbeiter nicht zuständig. Das Arbeitsverhältnis besteht zwischen Zeitarbeiter und Zeitarbeitsfirma. Zudem zahlen viele Metallbetriebe auf die Tariflöhne der Zeitarbeiter etwas drauf. Außerdem schaffen es zahlreiche Mitarbeiter aus einem Leiharbeitsverhältnis in eine Festanstellung.

Spieß: Ja, weniger als zehn Prozent.

Wilcken: In der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg 20 Prozent.

BZ: Wird die Tarifrunde besonders hart?

Spieß: Wir wollten die Themen Leiharbeit und Azubis vor der Tarifrunde regeln, was leider nicht gelungen ist. Beides kann also Teil der Tarifrunde werden. Wir werden vernünftig verhandeln, bereiten uns aber wie immer darauf vor, notfalls zu streiken.

Wilcken: Mit Ausnahme der Tarifrunde 2008 hat es immer geheißen, die nächste Runde wird hart. Bei den Themen Leiharbeit und der Übernahme der Azubis liegen wir aber tatsächlich weit auseinander.

Letzte Änderung: 14.02.2012