Betriebsräte - Parlamentarier der Arbeit

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15.03.2010 Unternehmen ohne Betriebsräte verschenken Wettbewerbschancen.

Quelle: Badische Zeitung, 15. März 2010, von Heinz Siebold

Betriebsratswahlen im Zeichen der Wirtschaftskrise: In vielen Firmen mussten die Interessenvertreter der Beschäftigten schmerzhafte Entscheidungen hinnehmen. Trotzdem gibt es keinen Mangel an Kandidaten.

Fast ist es schon wieder vergessen, das Unwort des Jahres 2009: "Betriebsratsverseucht". So hatte sich der Filialleiter einer Baumarktkette ausgedrückt - "ein sprachlicher Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen", fand die sprachkritische Jury. Zur Zeit werden in Deutschland - wie alle vier Jahre - die Betriebsräte gewählt. Aber nicht überall.

Dass immer noch manche große und kleine Betriebe die Wahl von Betriebsräten behindern, sei kein gutes Zeugnis für deren Unternehmenskultur: "Das ist ein Demokratiedefizit und fehlende Wertschätzung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", findet Jürgen Höfflin, der südbadische DGB-Vorsitzende.

Unternehmen ohne Betriebsräte verschenken Wettbewerbschancen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher des Stuttgarter Instituts für Medienforschung und Urbanistik in einer von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung. Ihr Fazit: Wer eine "partizipative Innovationskultur" pflegt, kommt zu besseren Ergebnissen. Betriebsräte hätten einen besseren Draht zu den Beschäftigten und könnten oft praktische Verbesserungsvorschläge anbringen und Lösungen für Probleme anbieten, die das Management völlig übersehen hatte. Beteiligung der Betriebsräte führe zu "größerer Legitimation bei den Beschäftigten".

Doch Betriebsräte stehen immer stärker unter Druck. Die Krise bringt Umstrukturierungen, Lohnverzicht, Kurzarbeit - und Entlassungen. "Das war die schwärzeste Stunde meines Lebens, als die Liste der Namen von Kollegen vor mir lag, die ich seit Jahren gut kenne", erinnert sich Cornelia Kainz, Betriebsratsvorsitzende der Freiburger Rhodia Acetow an die letzte Runde des Personalabbaus.

Zum ersten Mal seit 63 Jahren ist jetzt bei Rhodia eine zweite Kandidatenliste aufgetaucht. Früher gab es Persönlichkeitswahlen und eine einzige offene Liste. Konkurrieren mehrere Listen, haben die Wähler nur die Wahl zwischen diesen in Gänze, einzelne Kandidaten können nicht gestrichen oder von der einen auf die andere Liste gesetzt werden wie bei den Kommunalwahlen. Die Mandate werden nach dem d'Hondtschen Zählverfahren aufgeteilt, im Betriebsrat sitzen dann wie im Parlament unterschiedliche Fraktionen. Auch anderswo treten Arbeitnehmer gegeneinander an. "Ja, wir haben jetzt mehr konkurrierende Listen", räumt IG-BCE-Bezirksleiter Wilfried Penshorn ein. Im südbadischen Organisationsbereich gibt es 68 Betriebsratsgremien mit insgesamt 472 Mitgliedern. Bei etwas mehr als zehn Prozent gibt es konkurrierende Listen. Die Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie ist als besonders sozialpartnerschaftlich bekannt. Ist die Konkurrenz Folge einer politischen Unzufriedenheit oder spielen eher persönliche Animositäten eine Rolle? Zu Personen äußert sich Penshorn nicht, politische Alternativen sieht er keine. "Ich frage sie dann immer: Was hättest du anders gemacht? Und welche Mittel haben wir denn in der Hand?"

"Betriebsratsarbeit ist richtig kompliziert geworden", bestätigt IG-Metaller Hermann Spieß. "Aber sie ist nicht nur Stress, man kann auch gestalten und Erfolge erzielen - wenn man die Beschäftigten einbezieht", sagt Spieß, der in Lörrach und in Freiburg die Verwaltungsstellen führt.

Spieß nennt die Betriebsräte "Helden der Krise", weil sie selbstbewusst und unaufgeregt mit dafür sorgen, dass die Unternehmen ihre Fachkräfte selbst bei hohem Auftragsrückgang halten. In der Metall- und Elektroindustrie zwischen Freiburg und Lörrach gibt es 220 Betriebsratsgremien, die meisten Räte sind in der IG Metall. Auch in Metallbetrieben, etwa bei Hüttinger in Freiburg, gibt jetzt es Konkurrenzlisten.

Das Wort "Betreuung" meiden die Metaller neuerdings, sie wollen eine "Erschließungsgewerkschaft" sein mit dem Hauptziel, neue Mitglieder zu rekrutieren. Seit den letzten Betriebsratswahlen habe die IG Metall in Freiburg und Umgebung mitgeholfen, 32 neue Betriebsräte aufzubauen und deutlich Mitglieder gewonnen. Bei den "weißen Kragen" sogar mehr als bei den "Blaumännern".

Letzte Änderung: 15.03.2010