Betriebsräte sind Helden der Krise

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11.02.2010 BZ- Interview mit drei südbadischen Gewerkschaftschefs über die Rezession, höhere Löhne und der Sicherung von Arbeitsplätzen

Quelle: Badische Zeitung, 11. Februar 2010

"Betriebsräte sind Helden der Krise"

Die Wirtschaftskrise wirkt sich auf alle Branchen unterschiedlich aus - genauso unterschiedlich sind auch die Strategien der Gewerkschaften im Tarifstreit. Wie schätzen südbadische Gewerkschaftschefs die Lage ein?

BZ: Wie schlimm hat die Wirtschaftskrise die Region getroffen?
Hermann Spieß, IG Metall: In der Metallindustrie ganz hart. Wir haben ein Produktionsminus von 32 Prozent in der Metallindustrie Baden-Württemberg. Zuerst hat es die Autobranche getroffen und mit ihr die Zulieferbetriebe, die in Südbaden stark vertreten sind. Da geht es mittlerweile wieder aufwärts. Die Abwrackprämie hat geholfen und inzwischen steigt die Nachfrage insgesamt wieder, auch bei größeren Autos. Die Maschinenbauer haben anfangs noch ihre großen Auftragsbestände abgearbeitet, stecken aber mittlerweile am tiefsten in der Krise. Sie haben Einbrüche von 40 bis 50 Prozent bei der Produktion. Da kann ich auch keine Besserung erkennen.

Wilfried Penshorn, IG BCE : Die Pharmabranche ist relativ unberührt von der Krise. In dieser Branche entscheiden das richtige Produktportfolio und die gesetzgeberischen Maßnahmen häufig über Erfolg oder Misserfolg. Die Chemie berappelt sich langsam wieder. Die Branche ist Zulieferer für viele Bereiche des Lebens, auch für die Autoindustrie, die ein bedeutender Kunde geworden ist. Dorthin werden Kunststoffteile, Farben und Lacke geliefert. Daneben gibt es in der Region Probleme, die mit der Wirtschaftskrise nichts zu tun haben. Die Übernahme von Ciba durch BASF kostet leider Arbeitsplätze. Aber da werden die Fehler der Vergangenheit bereinigt. Darüber hinaus hat in unserem Organisationsbereich die Papierindustrie Schwierigkeiten, denn es gibt Überkapazitäten.

Reiner Geis, Verdi: In den meisten Branchen, die in Verdi organisiert sind, gibt es eher grundsätzliche als konjunkturelle Schwierigkeiten. Zum Beispiel gibt es Belegungsprobleme in vielen Rehabilitationseinrichtungen der Region. Diese wurden in den 70er und 80er Jahren aufgebaut. Heute gilt aber der politisch verordnete Vorrang der ambulanten vor der stationären Rehabilitation. Deswegen sind mehrere hundert Arbeitsplätze gefährdet. Auch die politisch erwünschte Fusion von Krankenkassen wird qualifizierte, ordentlich bezahlte Arbeitsplätze kosten. Bei der Deutschen Telekom oder im öffentlichen Dienst sprechen wir auch ständig über Personalabbau. In öffentlichen Dienst der Region sind in den vergangenen zehn Jahren 20 Prozent des Personals abgebaut worden.

BZ: Wie gehen die Gewerkschafter mit der Lage um?
Spieß: Unsere zentrale Frage ist: Wie sichern wir Beschäftigung?

BZ: Das lief bisher über Kurzarbeit.
Spieß: Die ist begrenzt. Wir nehmen aber an, dass die Produktion erst 2012/2013 wieder das Niveau von 2008 erreicht. Deswegen wollen wir mit dem Arbeitgeberverband möglichst schnell starke Arbeitszeitverkürzungen vereinbaren.

BZ: Das wird bitter für die Mitarbeiter, denn damit sind Einschnitte beim Lohn verbunden.
Spieß: Eine 28-Stunden-Woche ist natürlich für die Beschäftigten finanziell nicht mehr tragbar. Da muss ein Ausgleich her. Wir stellen uns vor, dass die Arbeitgeber den Lohnverlust zum Teil ausgleichen und dass für diesen Teilausgleich keine Steuern und keine Sozialabgaben fällig werden.

BZ: Wie sieht das in der chemischen Industrie aus?
Penshorn: Kurzarbeit spielt nur in Teilbereichen eine Rolle. Wir regeln Kapazitätsschwankungen häufig im Rahmen unserer sehr flexiblen Tarifverträge. In jedem Betrieb suchen die Betriebsparteien nach den passenden Lösungen. Im Übrigen setzen wir in der Tarifrunde im Frühjahr auf die Themen Beschäftigungssicherung, Ausbildungsplätze und eine angemessene Tariferhöhung.

BZ: Verdi geht einen Sonderweg und verlangt fünf Prozent mehr Lohn im öffentlichen Dienst.
Geis: Die Forderungen insgesamt summieren sich im Paket auf fünf Prozent. Wir wollen damit die Kaufkraft stabil halten. Schließlich ist es der stabile private Verbrauch gewesen, der 2009 einen noch tieferen Absturz der Wirtschaft verhindert hat.

BZ: Hat sich das Verhältnis zu den Arbeitgebern in der Krise verändert? Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat kürzlich in Freiburg geradezu Lobeshymnen auf die Gewerkschaften gesungen.
Geis: Davon merke ich nichts.
Penshorn: Wir regeln unsere Angelegenheiten, wo dies möglich ist, auf sozialpartnerschaftlichem Wege mit den jeweiligen Arbeitgeberverbänden. Das war vor der Krise so und ist so geblieben. Entscheidend ist der gute Wille auf beiden Seiten. In manchen Betrieben fehlt es auch mal am guten Willen. Dann sind Konflikte vorprogrammiert.

Spieß: In den Betrieben ist es so: Wo es einen starken Betriebsrat und eine starke IG Metall gibt, ist das Verhältnis in Ordnung. Wenn die Arbeitnehmerseite schwach ist, spielen die Arbeitgeber Herr im Haus wie eh und je.

BZ: Also alles wie früher?
Spieß: Ich stelle fest, dass die Betriebsräte selbstbewusster geworden sind. Sie ducken sich nicht mehr weg wie in früheren Krisen. Die Betriebsräte sind die eigentlichen Helden der Krise. Viele Chefs hätten einfach Personal abgebaut, wenn die Betriebsräte ihnen nicht mit der Möglichkeit der Kurzarbeit bessere Wege gewiesen hätten.

BZ: Beim Laborausrüster IKA in Staufen hat das nicht funktioniert. Dort fand ein drastischer Personalabbau statt.
Spieß: Stimmt. Den haben wir nicht verhindern können. Aber wir haben um die Arbeitsplätze gekämpft. Das ist wichtig.

BZ: Was lernen Sie aus der Krise?
Spieß: Wir wollen den Einsatz von Leiharbeitern unterbinden. Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Betrieben darf es nicht mehr geben.

BZ: Wie wollen Sie das durchsetzen?
Spieß: Die Betriebsräte machen Druck. Schließlich müssen sie Überstunden und Sonderschichten zustimmen. Das wird jetzt mit der Frage Leiharbeit verknüpft. Alcan in Teningen beschäftigt keine Leiharbeiter mehr, Micronas in Freiburg ebensowenig.
Penshorn: Leiharbeit ist in den Chemiefirmen unseres Organisationsbereiches kein großes Thema. Uns beschäftigt mehr die Befristung von Arbeitsverhältnissen und die Ausgliederung von Service-Tätigkeiten, um den Tarifvertrag zu umgehen. Das versuchen wir zu verhindern, so weit es geht.

BZ: Und das Thema Mindestlohn?
Penshorn: Ist in unseren Branchen kein Thema, ...
Spieß: ... bei uns auch nicht.
Geis: Das sieht in den Branchen, die ich vertrete, natürlich ganz anders aus. Wir werden für weitere Mindestlöhne kämpfen, auch wenn die schwarz-gelbe Regierung dem Mindestlohn grundsätzlich ablehnend gegenüber steht.

BZ: Spüren Sie denn, dass der Mindestlohn wirkt?
Geis: Ja. Nehmen Sie den Mindestlohn für Gebäudereiniger. Die 8,55 Euro pro Stunde, die die Untergrenze bilden, sind jetzt allgemeiner Standard, auch wenn Sie für Zuhause eine Reinigungskraft suchen.

Autor: Jörg Buteweg und Ronny Gert Bürckholdt.

Letzte Änderung: 11.02.2010