Leere nach der Lehre

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19.05.2009 Die Wirtschaftskrise in Südbaden gefährdet die Übernahme der Auszubildenden am Ende der Ausbildung .

Quelle: Badische Zeitung vom 19.05.2009; von Heinz Siebold

Die Leere nach der Lehre

FREIBURG. Die Wirtschaftskrise gefährdet die Übernahme der Lehrlinge am Ende der Ausbildung. In einigen südbadischen Industriebetrieben wurden bereits Auszubildende nicht übernommen. Im Sommer kann es noch weitaus mehr junge Leute treffen, selbst dort, wo es Tarifverträge gibt, die eine Übernahme vorsehen. Die Gewerkschaften wollen die Belegschaften für ein Solidaropfer zugunsten der Azubis gewinnen.

Gern sprechen manche Unternehmen nicht darüber, was aus ihren Ausgelernten wird, denn sie haben vor drei Jahren stolz auf ihre Ausbildungsleistungen hingewiesen und sich dafür feiern lassen. Und in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden im Prinzip alle Lehrlinge übernommen, wenn sie ihre Eignung durch die bestandene Prüfung und ihr Verhalten am Arbeitsplatz unter Beweis gestellt hatten. In der Wirtschaftskrise gibt es keine Übernahmegarantie mehr, wie Nachfragen der Badischen Zeitung bei südbadischen Unternehmen belegen

Sowohl IKA Labortechnik in Staufen als auch GE Healthcare in Freiburg, Ferromatik Milacron in Malterdingen oder IMS Gear in Eisenbach sind Betriebe mit traditionell hohen Ausbildungsquoten. Aber auch dort wurden Anfang des Jahres Auszubildende zum Teil nicht übernommen und diejenigen, die im Sommer fertig werden, warten auf Nachricht.

Beruhigt können derzeit nur Auszubildende in den First-Class-Ausbildungsbetrieben sein. Beim Waldkircher Sensorenhersteller Sick und bei den Messgerätespezialisten Endress + Hauser und Testo dürfen alle bleiben, auch die BA-Studenten. Fachliche und persönliche Eignung ist dabei immer vorausgesetzt. Fast überall sonst schweben Auszubildende in Unsicherheit. Angefangen haben sie vor dem Boom, jetzt gefährdet die Wirtschaftskrise ihr berufliches Fortkommen. Selbst dort, wo es eigentlich einen Übernahmeanspruch gibt: In der Metall- und Elektroindustrie müssen Auszubildende im Sinne des Berufsbildungsgesetzes für mindestens zwölf Monate übernommen werden. Dieser tarifvertraglich geregelte Anspruch gilt jedoch nicht für die Studenten der Berufsakademien.

Aber der Tarifvertrag kennt Ausnahmen: Bildet ein Betrieb weit über den eigenen Bedarf aus, kann er von der Übernahmepflicht befreit werden. Und wenn sich akute wirtschaftliche Schwierigkeiten auftun, kann der Betrieb ebenfalls die Übernahme ablehnen, allerdings muss er in beiden Fällen die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Verweigert die Arbeitnehmervertretung diese, kommt es zu einem Verfahren vor der Einigungsstelle beim Arbeitsgericht. Einige Geschäftsleitungen drohen damit, dass bei einer Übernahme der Azubis dann eben ein paar ältere Kollegen gehen müssten.

Die IG Metall kämpft für die "Operation Übernahme"

"Da ist es nicht leicht, konsequent zu bleiben", räumt Jürgen Lussi von der IG Metall in Freiburg ein. "Wir kämpfen trotzdem für die Übernahme", erklärt der Gewerkschaftssekretär, "denn irgendwann wird die Krise zu Ende sein und dann werden die jungen Fachkräfte gebraucht." Dem widersprechen die Unternehmer nicht, aber sie sind zwischen lang- und kurzfristigen Überlegungen hin- und hergerissen.

Die IG Metall möchte die Betriebsräte und Belegschaften, sowie die Geschäftsführer jetzt von einem Solidarmodell überzeugen. "Wenn alle noch ein wenig mehr Kurzarbeit leisten", sagt Lussi, "ist es möglich, die Übernahme der Azubis zu finanzieren." Bei 400 Beschäftigten würden sechs Minuten zusätzliche Arbeitszeitverkürzung genügen, um sechs Auszubildende zu bezahlen, hat der IG-Metaller einmal grob durchgerechnet.

In den vergangenen Tagen haben die Gewerkschafter ihre Forderung auf die Straßen getragen, bei Demonstrationen in ganz Baden-Württemberg. "Operation Übernahme", stand auf den Plakaten und Ansteckern zu lesen und gemeint war die Übernahme von Ausgelernten. 30 Auszubildende des Maschinenbauers Ferromatik Milacron etwa versammelten sich um fünf Uhr morgens vor dem Werkstor, um auf die Kollegen der Frühschicht zu warten und Unterschriften zu sammeln.

Spannend wird es im Sommer und im Herbst: Die kaufmännischen Lehrlinge machen im Juli Prüfung, Anfang 2010 gehen die dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufe in den Endspurt. Jeweils drei Monate zuvor müssen die Kandidaten eine eindeutige Auskunft ihres Ausbildungsbetriebes bekommen.

Aber nicht in allen Branchen müssen sich junge Leute sorgen. Der Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Wilfried Penshorn, sieht derzeit "keine deutlichen Anzeichen" für einen Rückgang der Übernahmen. "Das Niveau wird gehalten, wo es geht." Allerdings prüfen die Unternehmen jeden Einzelfall und lassen sich nicht auf generelle und langfristige Zusagen ein. In der Chemieindustrie gibt es keine Tarifverträge zur Übernahme, es gibt lediglich unverbindliche Empfehlungen des Arbeitgeberverbandes, in manchen Betrieben hat das zu hausinternen Vereinbarungen geführt. Auch sie stehen jetzt vor einer Bewährungsprobe.

Anhang:

Badische Zeitung 19.05.09 "Leere nach der Lehre"

Badische Zeitung 19.05.09 "Leere nach der Lehre"

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Letzte Änderung: 24.02.2010