21.Oktober Demonstration

27.10.2006 Unübersehbare soziale Schieflage kritisiert

Freiburg- Unter dem Motto "Das geht besser. Aber nicht von allein!" wollen am kommenden Wochenende bundesweit tausende Gewerkschafter gegen die Reformpolitik der Bundesregierung auf die Straße gehen. Neben Kundgebungen in Berlin, Dortmund, Frankfurt a.M. und München werden auch in Stuttgart etwa 30 000 Demonstranten erwartet.

"Wir brauchen Reformen, das ist unbestritten. Aber wir brauchen Reformen , die diesen Namen auch verdienen und die sozial gerecht sind", sagt Hermann Spieß, Geschäftsführer der IG Metall Freiburg im Vorfeld der Protestaktionen.

Im Mittelpunkt der Kritik stehen die Regierungspläne zur Rente mit 67, zum Gesundheitsfonds und die Erhöhung der Mehrwertsteuer. "Die Arbeitnehmer werden durch die Reformen einseitig zur Kasse gebeten, während die Unternehmen durch die Steuerreform weiter um Milliardenbeträge entlastet werden. Zu solchen Ungerechtigkeiten können und werden wir als Gewerkschaften, als Schutzmacht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, nie und nimmer die Hand reichen", machte Hermann Spieß deutlich.

Die Regierungspolitik habe eine "unübersehbare soziale Schieflage", kritisierte der Gewerkschafter die derzeitige Richtung der Regierungspolitik. So warf er der Großen Koalition vor, unter dem Deckmantel demografischer Notwendigkeiten mit der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre nichts weiter als ein Rentenkürzungsprogramm auf den Weg zu bringen. "Es ist doch ein durch nichts zu erklärender Irrsinn, wenn schon heute nur noch etwa 40 Prozent der über 55-jahrigen berufstätig sind, das Rentenalter weiter nach oben zu schrauben", ärgert sich Spieß.

Das sei "Rentenklau durch die Hintertür". Viel wichtiger sei es, Bedingungen in den Betrieben zu schaffen, die es den Menschen überhaupt erst ermöglichten, bis zur Rente arbeiten zu können. Zudem würde die Maßnahme den jungen Menschen, die seit Jahren teilweise verzweifelt nach einem Ausbildungsplatz suchten, die Zukunft verbauen.

Widerstand gibt es auch gegen die geplante Gesundheitsreform. "Hier werden die Koordinaten weiter zu Lasten der Versicherten verschoben", sagt Spieß, der auch alternierender Vorsitzender des Bezirksrats der AOK Südlicher Oberrhein ist. Besonders die Bezieher niedriger Einkommen drohten durch die Reformen noch mehr zur Kasse gebeten zu werden. Vielen drohe gar die finanzielle Überforderung. Hermann Spieß: "Es kann doch nicht sein, dass Gesundheit immer mehr vom Geldbeutel der Menschen abhängen soll. Vor allem die kleinen Leute müssten nach Willen der Regierung künftig noch einen Zusatzbeitrag an ihre Versicherung bezahlen. Die Bessergestellten wären fein aus dem Schneider. Aber gerade Geringverdiener dürfen nicht noch zusätzlich bestraft werden". Als Lösung verwies Spieß auf den Vorschlag einer Bürgerversicherung, wie ihn die Gewerkschaften schon vor einiger Zeit vorgelegt hätten. "Wir brauchen ein bezahlbares Gesundheitssystem für Jedermann. Deshalb müssen auch alle an der Finanzierung beteiligt werden. Wer mehr verdient, soll auch mehr bezahlen. Außerdem sollten alle, auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und Politiker künftig zur Finanzierung beitragen, damit sich die Lasten gerecht verteilen".

Aber auch die Politik in den Unternehmen und so manches Konzernlenkers steht im Kreuzfeuer der Gewerkschaftskritik. "Es wird immer rücksichtsloser mit den Beschäftigten in den Betrieben umgegangen. Die Angst der Menschen um ihren Arbeitsplatz wird gnadenlos ausgenutzt um unternehmerische Interessen durchzusetzen". Doch während den Beschäftigten Verzicht als unumgängliche Notwendigkeit gepredigt werde, seien die Herren in den Unternehmenszentralen noch so dreist, im selben Atemzug die Erhöhung der eigenen Bezüge anzukündigen.
Hermann Spieß: "Hier stimmen die Verhältnisse überhaupt nicht mehr. Warum muss ein Manager das 300 oder 400fache eines Facharbeiters verdienen? Stellenabbau anzukündigen ist keine herausragende Leistung, sondern oft ein Hinweis auf eklatante Managmentfehler. Und wie ist es zu erklären, dass Unternehmen mit Milliardengewinnen immer weiter Stellen abbauen und ihre Beschäftigten auf die Straße setzen? Dahinter steckt die nackte Gier nach immer mehr Profit, um die Aktionärsinteressen zu befriedigen. Die soziale Verantwortung der Unternehmen bleibt dabei auf der Strecke".

Wer durch die Ankündigung von Massenentlassungen den Aktienkurs hochtreibe, dürfe dafür nicht auch noch belohnt werden. "Wer Arbeitsplätze vernichtet, der sollte dafür haften. Es kann doch nicht angehen, dass glänzend verdienende Unternehmen ihre Beschäftigten rausschmeißen und die sozialen Folgekosten der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Da muss man einen Riegel vorschieben".

Als weitere Themen benannte Hermann Spieß auch die geplanten Kürzungen bei Hartz IV Beziehern und die Forderung der Gewerkschaften nach einem Mindestlohn. "Weitere Leistungskürzungen bei Hartz-Empfängern wären zynisch und ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Sie liegen doch schon am Rande dessen, was Menschen zum Leben brauchen. Von einer würdigen Existenz kann man doch schon bei den jetzigen Bezügen nicht mehr sprechen".

Mit Blick auf die immer weiter sinkenden Löhne forderte Hermann Spieß die Einführung eines Mindestlohns. "Wer Arbeit hat, muss auch anständig bezahlt werden. Von Elendslöhnen um die 4 Euro pro Stunde kann doch kein Mensch leben. Deshalb brauchen wir endlich Mindestlöhne von mindestens 7,50 Euro".

Über 1.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus Südbaden fahren zur Kundgebung in die Landeshauptstadt. Um 11 Uhr treffen sich die Teilnehmer dann am Stuttgarter Nordbahnhof und dem Marienplatz, um im Anschluss in zwei Demonstrationszügen Richtung Schlossplatz zu ziehen. Dort findet ab 13 Uhr die Abschlusskundgebung statt, auf der unter anderem der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer und der Vorsitzende des Sozialverbandes VdK Walter Hirrlinger sowie die Sozialpfarrerin Esther Kuhn-Luz reden werden.

Mit freundlichen Grüßen

Hermann Spieß
Geschäftsführer der IG Metall Freiburg

Letzte Änderung: 21.11.2007