Interview mit Berthold Huber

08.06.2006 Im Vorfeld der Delegiertenkonferenz im Mai gab unser 2. Vorsitzender Berthold Huber der Badischen Zeitung ein Interview. Das Ergebnis ist hier nachzulesen.

BZ-Interview mit IG-Metall-Vize Berthold Huber: Die einfachen Arbeitsplätze fallen weg

FREIBURG. Die Industriegewerkschaft Metall hat eine aus ihrer Sicht erfolgreiche Tarifrunde abgeschlossen. Der Druck auf die Arbeitnehmer bleibt aber, denn die Produktionsverlagerungen gehen weiter. Wie die Industriegewerkschaft Metall ihre Rolle als Arbeitnehmervertreterin Zeiten der Globalisierung spielen will, wollte Jörg Buteweg von Berthold Huber wissen, dem stellvertretenden Vorsitzenden der IG Metall.

BZ: Bringt der jüngste Tarifabschluss mit der dreiprozentigen Lohnerhöhung — der als Erfolg der IG Metall gewertet wird — Ihnen neue Mitglieder?
Huber: Es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen aus unserer Sicht erfolgreichen Tarifabschlüssen und der Mitgliederentwicklung. 2002 haben wir Tariferhöhungen von 4,1 Prozent ausgehandelt und haben dann trotzdem massiv Mitglieder verloren.
BZ: Der Mitgliederschwund hält an. Damit ist absehbar, wann das letzte Mitglied die IG Metall verlässt.
Huber: Da bin ich denn doch optimistischer. Bundesweit verlassen uns deutlich weniger Mitglieder als in den vergangenen Jahren. In Bayern hatten wir 2005 Zuwächse. Ende 2007 wollen wir die Trendwende bundesweit geschafft haben.
BZ: Was soll die IG Metall für die Beschäftigten wieder attraktiv machen?
Huber: Wir gewinnen dann Mitglieder, wenn wir uns konkret für die Belange der Beschäftigten einsetzen. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung um die Lohnfortzahlung bei Krankheit 1996. Da sind viele in die IG Metall eingetreten. Ein Beispiel aus einem Betrieb: Ein Autozulieferer in der Gegend von Koblenz mit 1000 Mitarbeitern wollte die Fertigung Schritt für Schritt nach Osten verlagern. Dagegen haben Betriebsrat und IG Metall mobil gemacht. Binnen fünf Wochen hat sich der Anteil der IG-Metall-Mitglieder in der Belegschaft auf 70 Prozent verdoppelt.
BZ: Was ist aus dem Betrieb geworden?
Huber: Er ist gesund.
BZ: Heißt das, die Arbeitgeberverbände mit ihrem Wunsch nach betriebsnahen tariflichen Lösungen treiben Ihnen die Mitglieder zu?
Huber: Das war gewiss nicht das Ziel der Arbeitgeberverbände. Ob die Arbeitgeber wirklich so flexible Vereinbarungen wollen, wie es ihre Verbandsvertreter sagen — da habe ich meine Zweifel. Fest steht: Die betrieblichen Verhandlungen um Flexibilisierung, die wir in den vergangenen Jahren vereinbart haben, die Öffnungsklausel beim Abschluss des Jahres 2004 und jetzt um die Einmalzahlung kommen uns entgegen, weil Gewerkschaftsarbeit unmittelbar erfahrbar wird.
BZ: Das mögen punktuelle Erfolge sein. Den langfristigen Trend, dass Arbeitsplätze in der Produktion verloren gehen, durch Rationalisierung und Verlagerung, können Sie nicht umdrehen.
Huber: Ich sehe das nicht so schicksalhaft und unabwendbar. Ein Beispiel: Die Autoindustrie und Ihre Zulieferer hatten 1992 gut 800 000 Mitarbeiter. Dann kam die Krise und der Personalabbau auf etwa 650 000 Beschäftigte. Als es gut lief, wurde erneut Personal eingestellt und die Beschäftigung stieg auf rund 770 000.
BZ: Aber der Produktivitätsfortschritt ist gewaltig. Das kostet Arbeitsplätze.
Huber: Keine Frage. Wenn der Absatz langsamer wächst als die Produktivität steigt, fallen Stellen weg. Aber mit neuen Produkten gibt es auch neue Stellen. Nehmen Sie die Windenergie. Da wurden 70 000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen.
BZ: Wenn Stellen geschaffen werden, sind das anspruchsvolle Arbeitsplätze für gut qualifizierte Arbeitnehmer, einfache Jobs fallen weg?
Huber: Stimmt. In den Lohngruppen eins und zwei, wo einfache Tätigkeiten eingruppiert sind, gibt es in der baden-württembergischen Metallindustrie so gut wie keine Beschäftigten. Deshalb ist beispielsweise die Diskussion um Niedriglöhne absurd.
BZ: Hinzu kommt die Verlagerung von einfachen Arbeitsplätzen ins Ausland, wo die Lohnkosten niedriger sind. Die IG Metall hat wochenlang um das Nürnberger AEG-Werk gekämpft. Was ist herausgekommen?
Huber: Sicher nicht das, was wir angestrebt haben. Für den Erhalt der Arbeitsplätze dürfen wir aus juristischen Gründen nicht streiken. Wir haben aber für einen Sozialplan kämpfen können — und den haben wir erreicht. Bitter ist es für die Menschen trotzdem.
BZ: Sie haben damit die Verlagerung für die AEG-Muttergesellschaft Electrolux teurer gemacht. Das wird aber niemanden abhalten zu verlagern, wenn die Kostenkalkulation das rentabel erscheinen lässt.
Huber: Das Beispiel AEG hat schon zivilisierende Wirkung. Davon bin ich überzeugt.
BZ: Aber die Jobs in Nürnberg sind weg. Wo sollen die Menschen unterkommen?
Huber: Für die Älteren gibt es leider nur den Vorruhestand. Ein Teil der jüngeren kann sich qualifizieren für anspruchsvollere Arbeitsplätze.
BZ: Und die, die das nicht wollen oder können?
Huber: Wenn Sie wissen wollen, wie einfache Arbeit in Deutschland gehalten werden kann: Darauf hat noch niemand eine überzeugende Antwort. Ich auch nicht. Wir müssen daran arbeiten, diesen Menschen eine Perspektive zu bieten.

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Spieß u. Huber

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Letzte Änderung: 21.11.2007