Entlassungswelle in Staufen bei Freiburg

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19.08.2009 Der größte Arbeitgeber in Staufen, die IKA-Werke, wollen 120 der 374 Jobs streichen.

Quelle: badische Zeitung,19. August 2009 von Bernd Kramer

Die heile Welt ist verloren

Die Idylle ist eigentlich perfekt. Der Berg mit der Burgruine in das klare Licht der Sommersonne getaucht, entspannte Touristen, die durch das mittelalterlich anmutende Städtchen schlendern und Rentner, die in einem bekannten Café ihre Torte genüsslich essen.

Der Kollaps der Lehman-Bank, der Vertrauensverlust in der Finanzwirtschaft und die Auftragseinbrüche in der Industrie - von all dem scheint Staufen unberührt. Doch der Postkarten-Eindruck täuscht. Die vor der Krise noch heile Welt, in der nahezu Vollbeschäftigung herrschte, ist verloren gegangen. Vielleicht führt Staufen auch bald anderen Städten und Gemeinden im Musterländle vor Augen, was es heißt, wenn erfolgsverwöhnte Unternehmen Stellen im großen Stil kappen.

Der größte Arbeitgeber, die IKA-Werke, wollen 120 der 374 Jobs streichen. Der Grund: Die Führungsspitze des Unternehmens rechnet in diesem Jahr mit einem Rückgang des Umsatzes von 63 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro. Die Laborgeräte und Maschinen des Mittelständlers werden angesichts der weltweiten Investitionszurückhaltung nicht mehr so stark nachgefragt. Der geschäftsführende Gesellschafter René Stiegelmann und Geschäftsführer Peter Wanninger gehen davon aus, dass dies über Jahre so bleiben wird - zumindest in den westlichen Industriestaaten.

Damit stehen sie nicht alleine. Im Arbeitgeberlager und unter Wirtschaftsforschern gibt es die Ansicht, dass vier bis fünf Jahre verstreichen werden, ehe man wieder an das Auftragsniveau des Jahres 2008 anknüpfen könne. Ein massiver Jobabbau komme auf die baden-württembergische Industrie zu, wenn die Kurzarbeit ausläuft.

Die Möglichkeit, die Belegschaft weniger arbeiten zu lassen, anstatt gleich Jobs zu streichen, schließt Wanninger aus: "Das ist keine kurzfristige Krise. Es gibt massive Überkapazitäten am Markt. Kurzarbeit hilft da nicht weiter. Wir kommen um einen Einschnitt nicht herum." Die Entwicklung, der Prototypenbau, der Vertrieb, die Montage komplexer Maschinen - all das soll in Staufen bleiben. Andere Produktionsvorgänge wie Teile der Leiterplattenfertigung werden aber an Unterlieferanten vergeben oder an andere IKA-Produktionsstandorte verlagert. "Es wird schwerer für uns, von Europa heraus in die Wachstumsmärkte zu exportieren. Und wir müssen angesichts des Preisdrucks billiger produzieren."

In Staufen hat die Nachricht vom Jobabbau wie eine Bombe eingeschlagen. IKA, das war eine sichere Bank für die 7700 Einwohner. Eine hohe Ausbildungsquote, eine für ihr soziales Engagement geschätzte Unternehmerfamilie sowie Hightech- Produkte. Und vor allem Vertrauen - zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft.

Dies ist ein Stück weit verloren gegangen, zumal die Belegschaft einer Arbeitszeitverlängerung zugestimmt hatte - in der Hoffnung, damit die Jobs zu sichern. Er verstehe die Welt nicht mehr, sagt Betriebsratschef Günter Pfeifer heute verbittert.

Erstmals in der Unternehmensgeschichte luden nun IG Metall und Betriebsrat am Dienstag zu einer Pressekonferenz ein - ein Vertreter der Geschäftsleitung war nicht dabei. Dagegen Politprominenz in Gestalt des baden-württembergischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Claus Schmiedel und der SPD-Bundestagskandidatin Jana Zirra.

IG-Metall-Gewerkschaftssekretär Thomas Bittner will den Kampf um die Jobs nicht aufgeben. Er rechnet vor, dass IKA bei Einführung der Kurzarbeit im Februar weiter schwarze Zahlen geschrieben hätte. Und er appelliert an die Geschäftsleitung, in der Kurzarbeit, die so viele andere Mittelständler praktizieren, eine Chance zu sehen. Dies hätten die IKA-Mitarbeiter verdient. Deshalb will er weiter auf die Kurzarbeit pochen. Claus Schmiedel sagt, dass er sich für den Erhalt der Jobs in Stuttgart einsetzen wolle und deshalb mit dem Wirtschaftsministerium in Verbindung trete. Er rechnet mit einer Konjunkturerholung bis 2010/2011.

Für Wanninger ist der Jobabbau eine "sehr traurige Angelegenheit". "Aber ich bin hier mitverantwortlich, und ich muss dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen auch in den kommenden Jahren weiterbesteht." Am Donnerstag findet die nächste Betriebsversammlung statt.

Letzte Änderung: 19.08.2009