Der verlässliche Sozialpartner

Rudi Schlegel verabschiedet

10.10.2007 Rudi Schlegel in den Ruhestand verabschiedet

Badische Zeitung vom Mittwoch, 10. Oktober 2007

Der verlässliche Sozialpartner
Der frühere Sick-Betriebsratsvorsitzende Rudolf Schlegel ist im Ruhestand / Er hat das Betriebsklima entscheidend mit geprägt

Redakteur Heinz Siebold

WALDKIRCH. Jetzt, wo er nicht mehr arbeitet, hat er den Blaumann wieder rausholen müssen: Rudolf Schlegel muss die Treppe an seinem Haus reparieren. Den Overall hat der 63-Jährige zumindest bei der Firma Sick AG in Waldkirch lange nicht mehr getragen, Schlegel war dort lange Betriebsratsvorsitzender und sein Dress war der Anzug mit Krawatte. Im September hat Schlegel auch sein Ehrenamt als zweiter Bevollmächtigter der IG Metall in Freiburg abgegeben.

Zum Waldkircher Sensorenhersteller ist Rudolf Schlegel 1969 gekommen, mit 200 Beschäftigten herrschten noch übersichtliche Verhältnisse. Schlegel konnte dort eine Umschulung zum Elektromechaniker machen, vorher hatte er mal hier, mal da gearbeitet, zuletzt als Bierfahrer. Geboren wurde er 1944 im bayrischen Erding, dort hatte sein Vater, ein Maschinenschlosser aus Kollnau, in den 1930er Jahren Arbeit gefunden. Der Weißbierstadt kehrte Schlegel als junger Mann den Rücken und der Plan, eine Familie zu gründen gab seinem Ausbildungsdrang den letzten Anstoß.

Von Gewerkschaft und Betriebsrat hatte Schlegel, der später noch den Techniker machte, bereits als Jugendlicher gehört. Der Sick-Betriebsratsvorsitzende sagte irgendwann zu ihm, man könne nicht bloß als Trittbrettfahrer mitnehmen, was andere erkämpft hätten. Das treffende Argument für jemand, der die " Frage der Gerechtigkeit" als seinen Kompass seit Kindheitstagen entdeckt hatte. Nicht weit von Erding liegt das ehemalige KZ Dachau und die Besuche dort haben den jungen Schlegel tief beeindruckt, die Abscheu vor Unmenschlichkeit in jeder Form gehört seitdem zu seinen Grundwerten.

Aus dem Elektrotechniker, der im Sick-Labor Lichtschranken getestet hat, wurde 1987 der Betriebsrat Schlegel. 1994 wurde er Vorsitzender des Gremiums, seit 1996 vertrat er die Arbeitnehmer auch im Aufsichtsrat. Da war Sick bereits keine kleine Tüftlerfirma mehr, Firmengründer Erwin Sick war 1988 gestorben und ein externes Management hatte die Zügel in die Hand genommen.

Mit dem Vorstandsvorsitzenden Volker Reiche konnte Rudi Schlegel gut, die beiden Männer verband das bedächtige und unaufgeregte Naturell. Zauderer waren sie jedoch keineswegs, sonst sähe Sick heute anders aus. Es wäre nicht das Vorzeigeunternehmen mit weltweit 4400 Beschäftigten und einem glänzenden Ruf als innovativer Technologieführer in der Fabrikautomation und Sicherheitstechnik. Aber auch mit einer bewährten Kultur des Miteinanders von Management und Belegschaft. Die entwickelte sich unter maßgeblichem Einfluss von Rudi Schlegel.

"Geschenkt haben wir nichts bekommen" , blickt Schlegel zurück. Nicht immer reichte das wohl formulierte mündliche Argument aus. Weil Sick nicht im Arbeitgeberverband war, sammelten IG Metall und Betriebsrat 1994 Unterschriften, erst dann trat die Firma dem Arbeitgeberverband bei und akzeptierte den Flächentarifvertrag. "Es muss ein Gegenpol da sein" , sagt der gelernte Elektromechaniker.

Schlegel ist vorbehaltloser Verfechter der Sozialpartnerschaft. Das war manchen im Betriebsrat manchmal zu wenig. "Wir haben nur die Mitbestimmung" , mahnte er dann, "aber ohne die wären wir gar nichts." Tarif- und rechtlose Zeiten für Arbeitnehmer wie früher dürfe es nie wieder geben.

Betriebsrat sein heißt für Schlegel Mitgestalten, dafür braucht es Wissen, das man sich bei den Seminaren und Schulungen der Gewerkschaft holt. Schwierig war es zum Beispiel, als Sick neu investieren wollte und dafür Mehrarbeit der Beschäftigten forderte. Sonst wäre Produktion nach Ungarn verlagert worden. Vereinbart wurde 2003 ein "Flexi-Paket" , das beiden Seiten gerecht wurde, der Neubau in Waldkirch zog neue Arbeitsplätze nach sich.

Harmonie ist dem Betriebsrat und ehrenamtlichen Arbeitsrichter Schlegel nicht immer gegönnt gewesen. Vor den Bundestagswahlen 2005 nahm das Sick-Management Anstoß an einem Text im Intranet, den es für Wahlpropaganda hielt. Schlecht beraten, drohte man dem allseits geschätzten Betriebsratsvorsitzenden sogar mit Gefängnis, falls der Text nicht entfernt würde. Geschadet hat das dann aber nicht dem Betriebsrat, sondern dem Image des Unternehmens. "Hätte nicht sein müssen" , lächelt Schlegel heute darüber.

Harmonie findet der Familienvater daheim und in der Musik. Lange Jahre sang er als einziger "Evangele" in einem katholischen Kirchenchor. Jetzt greift der Ruheständler wieder in die Saiten seiner Gitarre. "Ich versuche, dem Instrument Töne zu entlocken, wie sie auf dem Blatt notiert sind" , winkt er bescheiden ab. Bloß nicht übertreiben, das ist auch hierbei seine Maxime.

Letzte Änderung: 21.11.2007